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Von den Blinden und dem Elefanten

Blicken verschiedene Menschen auf ein und dieselbe Sache, ergeben sich unterschiedliche Wahrnehmungen und Perspektiven. Das illustriert auch ein altes aus dem asiatischen Kulturkreis stammendes Gleichnis von den Blinden und dem Elefanten. Dieses zeichnet ein Bild unterschiedlichster Perspektiven und deren Gleichwertigkeit im Hinblick auf eine relative und absolute Wahrheit. Eine kurze Zusammenfassung der Geschichte ist die Folgende:

Mehrere blinde Menschen werden darum gebeten, einen Elefanten, etwas ihnen vollkommen unbekanntes durch betasten zu beschreiben und somit eine Aussage darüber zu treffen, was das dargebotene denn sei. Dazu wird jeder einzelne so platziert, dass ein Körperteil ganz genau untersucht werden kann. Sie erhalten den Auftrag, ihrer Neugierde zu folgen und sich für eine mögliche neue Erfahrung zu öffnen. Alle beginnen damit, die sich vor Ihnen befindlichen Teile zu ertasten und zu untersuchen und nach kurzer Zeit kommt jeder Einzelne zu seiner Schlussfolgerung.

Jener Blinde, der das Bein erfühlt erklärt, dass es sich bei einem Elefanten um eine Säule handle. Der, der die Schwanzspitze in Händen hält, meint darin eine Bürste zu erkennen und derjenige der den Schwanz abtastet, ein Seil. Der der das Ohr befühlt, meint darin eine raue Decke zu erkennen, jener der den Rüssel inspiziert meint, dass ein Elefant einer Schlange ähnlich sei. Jener Blinde der den Stoßzahn berührt meint, es sei ein Speer und der verbleibende, der dem Rücken des Elefanten zugewandt ist meint eine Mauer vor sich zu haben. Die Blinden geraten in Streit und Unverständnis über die jeweils unterschiedlichen Ansichten. Schlussendlich wird die Sache aufgeklärt und alle beteiligten erfahren, dass es sich beim ertasteten für alle um ein und dasselbe handelt. 

Der Elefant steht hier Sinnbildlich für eine objektive Realität, die Blindheit der Männer für die beschränkte Fähigkeit des Menschen, eine allumfassende, allgemeingültige Realität zu erkennen. 

Jeder Leser ist sich im klaren, was ein Elefant ist und man mag sich denken: wenn nur der eine oder andere Blinde über sein Körperteil hinausgehen würde, könnte er erkennen, dass es sich um etwas anderes handle als um das vermutete. Zumal man nicht auf die Idee kommen würde, der Elefant sei eine Säule, sollte er sich bewegen und Laute von sich geben (so er lebendig ist). Da schon könnte sich zeigen, dass es sich um ein etwas Lebendiges handle. Was der Wahrheit schon ein großes Stück näherkommen würde. Man könnte ja auch davon ausgehen, dass ein Blinder alleine mehrere Erkenntnisse und schlussendlich für sich auf die richtige Lösung kommen könnte, zumal er mit genug Zeit den Elefanten umrunden und auch seiner übrigen Sinne bedienen könnte. 

Aber darum geht es in diesem Gleichnis nicht. Worauf es anspielst, sind die unterschiedlichen Weltbilder und Erklärungsmodelle, derer sich Menschen bedienen. Es illustriert, dass der Glaube des Einzelnen, dass seine Sichtweise die einzig richtige sei dazu führt, dass man für ein größeres Ganzes blind bleibt. Erst wenn man Menschen mit anderen Wahrnehmungsperspektiven ernst nimmt, kann man der Wahrheit einen Schritt weit näher kommen.

Ethisch betrachtet würde sich der Streit unter den Blinden vermeiden lassen, wenn sich keiner von Ihnen anmaßen würde, das Verständnis von Wahrheit und Realität der anderen gering zu schätzen. Auch wenn man den Standpunkt eines anderen nicht nachvollziehen kann bedeutet das noch lange nicht, dass man ihm respektlos oder gar feindselig gegenübertritt. Menschen sind in der Lage, andere Ansichten, Meinungen und Perspektiven stehen zu lassen ohne sich dadurch angegriffen oder bedroht zu fühlen.

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